Reifen tragen entscheidend zur Sicherheit von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr bei. Aus diesem guten Grund müssen sie präzise definierte Mindeststandards erfül-len, wenn sie in einem Land der Europäischen Union (EU) wie Deutschland und Ita-lien verkauft werden sollen.
„Hat ein Reifenhersteller einen neuen Reifen entwickelt und will ihn in der EU in den Handel bringen, muss dieses Produkt ein sogenanntes Typengenehmigungsverfah-ren durchlaufen“, erläutert Stephan Immen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg. Während dieses Verfahrens prüfen Fachleute, ob dieser Reifen genau festgelegte Leistungsanforderungen erfüllt.
Dieses Verfahren führen alle EU-Mitgliedsländer nach einem einheitlichen Schema durch. Das hat einen großen Vorteil: Sobald der neue Reifen in einem Mitgliedsland die Typengenehmigung erhalten hat, darf er in jedem Land der EU verkauft werden. Auch wichtig zu wissen: „Der Reifenhersteller darf bestimmen, in welchem EU-Staat das Typengenehmigungsverfahren stattfinden soll“, betont Stephan Immen.
In Deutschland führt das Kraftfahrt-Bundesamt das Verfahren durch. Als Grundlage dienen ihr nationale und internationale Rechtsvorschriften. Besonders wichtig ist da-bei die sogenannte Regelung nach UNECE R117.
Das Kürzel UNECE steht für The United Nations Economic Commission for Europe, die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen. Sie legt die Mindest-anforderungen fest, die Waren erfüllen müssen, wenn sie auf europäischen Märkten verkauft werden sollen.
Die Regelung Nr. 117 betrifft Reifen für Personenkraftwagen, Kleintransporter und Lastkraftwagen. Sie soll die Sicherheit sowie die Wirtschaftlichkeit und Umweltver-träglichkeit im Straßenverkehr verbessern: Um dieses Ziel zu erreichen, wurden für drei Leistungsmerkmale der Reifen Grenzwerte festgelegt. Die drei Merkmale sind Nasshaftung (Bremsen auf Nässe), Kraftstoffeffizienz (Rollwiderstandswert) und das Rollgeräusch. Die Grenzwerte darf ein neuer Reifen nicht unter- bzw. überschreiten.
Schafft ein neuer Reifen das, hat er die erste Hürde zur Typengenehmigung ge-nommen. Übrigens: Die drei Leistungsmerkmale befinden sich auch auf dem EU Rei-fenlabel. Es zeigt die Werte eines Reifens hinsichtlich Nasshaftung, Kraftstoffeffizi-enz sowie Abrollgeräusch. Damit haben Verbraucher die Möglichkeit, sich vor dem Kauf über drei wichtige Eigenschaften der Reifen zu informieren. Für das Messen der Werte sind die Reifenhersteller zuständig. Welche Methoden sie dafür einsetzen müssen, regelt ebenfalls die UNECE R117.
Während des formellen Teils des Typengenehmigungsverfahrens prüfen Mitarbeiter des Kraftfahrt Bundesamtes die Unterlagen, die der Reifenhersteller für das neue Produkt erstellen muss. Für den praktischen Teil der Typprüfung setzt das KBA technische Dienste wie den TÜV Süd und den TÜV Nord ein. „Dabei handelt es sich um entsprechend qualifizierte Unternehmen, die sich beim Kraftfahrt-Bundesamt für diese Aufgabe beworben haben und nach einer Prüfung von uns ernannt wurden“, erläutert Stephan Immen. Auch hier gilt: Jeder Reifenhersteller kann wählen, welcher technische Dienst seinen Reifen begutachten soll.
Der vom Reifenhersteller gewählte Dienst unterzieht den Reifen einem Belastungs- und Geschwindigkeitstest und prüft das Abrollgeräusch. Die Untersuchungsergebnis-se werden in einem Gutachten zusammengefasst und dem KBA zur Überprüfung zugeleitet. Erfüllt der Reifen alle erforderlichen Voraussetzungen, hat er die zweite Hürde genommen. Handelt es sich um Sommerreifen, erteilt das Kraftfahrt-Bundesamt daraufhin dem Hersteller die entsprechende Typgenehmigung.
Sonderprüfung für Winter- und Ganzjahresreifen
Anders als Sommerreifen müssen Winter- und Ganzjahresreifen noch eine dritte Hürde nehmen. In manchen Ländern der EU gilt eine generelle Winterreifenpflicht. In anderen wie Deutschland gibt es eine situative Winterreifenpflicht. Das heißt, es hängt von der Wetterlage ab: Bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte ist eine dafür geeignete Bereifung erforderlich. Doch welche Reifen gelten als Winterreifen? Lange gab es dafür keine verbindliche Definition. Wollte man Reifen kennzeichnen, die für das Fahren bei winterlichen Straßenverhältnissen geeignet wa-ren, prägte man ihnen das Kürzel M+S (Matsch und Schnee) auf die Reifenflanke.
In Deutschland wurden im Jahr 2017 die technischen Anforderungen an Reifen, wel-che den Vorgaben der situativen Winterreifenpflicht genügen, neu definiert. Diese Reifen müssen einen standardisierten Test bestehen. Für Pkw-Reifen ist das ein Bremstest auf Schnee oder eine Messung der Zugkraft (Traktion) auf Schnee. Auch in diesem Fall regelt die UNECE R-117 das Testverfahren und die Mindestanforde-rungen. Erfüllt der Reifen die Mindestanforderungen, dann darf der Hersteller das sogenannte Alpine-Symbol, ein Piktogramm mit dreigezacktem Berg und Schneeflo-cke, auf der Reifenflanke anbringen. Dieses Zeichen weist den Reifen als Winterrei-fen aus. Weil Ganzjahresreifen – wie der Name bereits sagt – auch im Herbst und im Winter gefahren werden sollen, müssen auch sie den Test absolvieren. Und nur wenn sie ihn bestehen, erhalten sie das Alpine-Symbol und gelten als wintertauglich.
Es sind also insgesamt drei Prüfungen, die ein neuer Winter- oder Ganzjahresreifen bestehen muss, bevor er in der EU zum Verkauf freigegeben wird. Besteht er sie, hat er immerhin die technischen Mindestanforderungen erfüllt.