EINIGE ZENTIMETER DRAUFLEGEN
Während des Lockdowns in Europa mussten sich viele Menschen über einen längeren Zeitraum hauptsächlich in ihren Wohnungen und Häusern aufhalten. Und nicht wenige sagten danach, sie hätten in dieser Zeit ein paar Zentimeter um die Hüften zugelegt.
In der Formel 2 - die unmittelbare Vorstufe zur Formel 1, in der die Stars von morgen ihre Erfahrungen sammeln - war dieser Zuwachs erheblich: fünf Zoll, um genau zu sein. Das entspricht mehreren Taillengrößen. Allerdings ist das nicht auf übertriebene Genusssucht zurückzuführen, sondern war von Anfang an geplant. Die Formel 2 Meisterschaft wird in dieser Saison, die am 3. Juli 2020 in Österreich begann, erstmals mit 18-Zoll-Reifen ausgetragen. Zuvor wurden jahrelang 13-Zoll-Reifen eingesetzt, also dieselbe Größe, die derzeit in der Formel 1 gefahren wird.
Die Idee hinter dem Größenzuwachs der Reifen ist einfach: Abgesehen von sehr kleinen Modellen verwenden Straßenautos keine 13-Zoll-Räder mehr. Der Einsatz einer größeren Reifendimension im Rennsport verleiht den Autos nicht nur ein viel moderneres Aussehen. Viel wichtiger ist, dass er auch für die Technologietransfers von der Strecke auf die Straße eine herausragende Rolle spielt. Diese Transfers sind ein entscheidender Grund für das Engagement im Motorsport.
Die Formel 1 sollte ab 2021 die größeren Reifen verwenden. Die 18-Zöller sind ein Bestandteil einer Reihe technischer Änderungen, die den Wettbewerb noch spektakulärer machen sollen. Doch infolge der Covid-19-Pandemie wurde beschlossen, das neue Formel 1 Reglement auf 2022 zu verschieben. Dadurch erhalten die Teams mehr Zeit, sich von den finanziellen und logistischen Auswirkungen der Krise zu erholen.
Demgegenüber stand der Einsatz der 18-Zoll-Reifen in der Formel 2 ab 2020 bereits lange zuvor fest. Er ist Teil des Test- und Entwicklungsprogramms, das der Premiere der größeren Reifen in der Formel 1 vorangeht. Glücklicherweise hat sich dieser Plan nicht geändert.
NICHT NUR EIN HÜBSCHES GESICHT
Auf dem Red Bull Ring im österreichischen Spielberg debütierten die Formel 2 Fahrzeuge mit den 18-Zoll-Reifen, die ihnen buchstäblich eine zusätzliche Dimension verleihen. Denn im Vergleich zu den bisherigen pummeligen 13-Zoll-Reifen ist ihr Profil flach: Sie sehen dadurch viel moderner aus.
Für die Formel 2 Piloten sind die 18-Zöller nicht komplett neu. Anfang des Jahres haben sie in Bahrain diese Reifen während der üblichen Vorbereitungen auf die Saison getestet. Das war, noch bevor die Saison dramatisch verkürzt wurde.
Pirelli hatte im vergangenen Jahr eine Reihe privater Tests mit 18-Zoll Reifen für die Formel 2 durchgeführt. Es galt sicherzustellen, dass die neuen Gummiwalzen den Anforderungen des F2-Wettbewerbs voll und ganz entsprechen. Diese zeichnen sich durch ein Leistungsniveau aus, das nicht allzu weit von dem in der Formel 1 entfernt ist. Logisch, denn die Rennserie soll die Fahrer ja auf die Formel 1 vorbereiten.
In Österreich wurden die 18-Zoll-Reifen von Pirelli erstmals im Wettkampf eingesetzt. Von Anfang an zeigten die Fahrer sich beeindruckt: nicht nur von der Geschwindigkeit und dem hohen Griplevel der Supersize-Reifen, sondern auch von ihrer Konstanz. Sie ermöglichte es den Piloten, von Anfang bis Ende hart zu pushen. Bei den 13-Zoll-Reifen der vorherigen Generation bestand ein Limit, wie viel und wie lange man mit ihnen pushen konnte. Die neuen Reifen verhielten sich völlig anderes. Und die Ergebnisse waren auf der Strecke deutlich zu sehen.
DIE HÜGEL SIND LEBENDIG
Die kurze, scharfe und sehr hügelige Runde auf dem Red Bull Ring dauert bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 190 km/h und einer Höchstgeschwindigkeit von fast 300 km/h auf der Geraden weniger als eineinhalb Minuten. Mit den 18-Zoll-Reifen vollbrachten die Formel 2 Piloten einige unglaubliche Leistungen, die zeigen, warum sie als Zukunft der Formel 1 gelten.
So kämpfte der Franzose Giuliano Alesi (Sohn des legendären Ferrari-Piloten Jean Alesi) sich vom 18. Startplatz auf den sechsten Rang vor: dank einer anderen Reifenstrategie als die meisten Konkurrenten sowie einer kontinuierlichen Aggressivität, die nötig ist, um von Anfang bis Ende an die Grenzen zu gehen.
Sein Teamkollege Calum Ilott von der Ferrari Driver Academy, der das Rennen am Samstag gewann, kommentierte: „Selbst auf den harten Reifen hatten wir das Gefühl, viel Pace zu haben, sobald wir sie auf Temperatur gebracht hatten.“
Jene, die auf den weichen Reifen unterwegs waren, konnten viel längere Stints absolvieren als zuvor, ohne dass es zu einem echten Performance-Abfall kam.
Für das zweite Formel 2 Rennen in Österreich hatte Pirelli andere Mischungen nominiert, um das Geschehen ein wenig durcheinanderzuwirbeln und die Spannung noch zu erhöhen. Darüber hinaus sollten die Fahrer die Möglichkeit bekommen, Erfahrungen mit allen neuen Pirelli F2-Mischungen dieser Saison zu sammeln.
Zumal die genaue Kenntnis der Funktionsweise dieser innovativen 18-Zoll-Reifen für sie sehr nützlich sein könnte, wenn es darum geht, ein Formel 1 Cockpit für das übernächste Jahr auszuhandeln ...