Von den fünf meistverkauften Fahrradmodellen, welche die New Yorker Brooklyn Bicycle Company normalerweise vorrätig hat, waren Mitte Juni vier vergriffen. Die Verkaufszahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 600 Prozent, sagte Ryan Zagata, Präsident des Unternehmens, gegenüber der New York Times und fügte hinzu, er habe "noch nie etwas erlebt, was dem auch nur annähernd gleichkommt".
Von New York bis London ist der Anstieg des Radverkehrs ein positiver Aspekt, der aus der Coronavirus-Pandemie resultiert. Es hatte bereits vor dem Lockdown begonnen, als Fahrrad-Reparaturwerkstätten von einer Zunahme des Geschäfts berichteten. Denn die Menschen versuchten, ihre alten Räder wieder in Schuss zu bringen, um öffentliche Verkehrsmittel zu vermeiden. In den Ländern, in denen das Radfahren während der Sperrzeit erlaubt war, erwies es sich daraufhin als eine wichtige Möglichkeit, Sport zu treiben und dem bedrückenden Gefühl zu entkommen, daheim eingesperrt zu sein.
Wie bei so vielen Dingen im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise lautet die nächste Frage: Kündigt dies eine dauerhafte Veränderung in der Art und Weise an, wie die Menschen leben und sich verhalten? Könnte es der Anstoß dafür sein, Radfahren in den Großstädten endlich Schwung zu verleihen?
Radfahren einfacher machen
Zweifellos haben viele Behörden, die ohnehin eine Verlagerung auf das Fahrrad befürworten, schnell und mit viel Geld eingegriffen – auch aufgrund des zusätzlichen Impulses, angesichts der Pandemie alternative Mobilitätsmöglichkeiten finden zu müssen.
Einer der ersten Vorreiter war die italienische Stadt Mailand, die lange für ihre Umweltverschmutzung bekannt war. Der "Open Roads"-Plan der Stadt ist ein ehrgeiziger Versuch, etwas Positives aus der Covid-19-Krise zu ziehen. Es werden neue Radwege und breitere Bürgersteige gebaut, während die Anzahl der Straßen, die der motorisierte Verkehr nutzen kann, eingeschränkt wird. Der ursprünglich für 2030 vorgesehene Plan wurde auf 2020 vorgezogen.
Andere Metropolen greifen derartige Beispiele auf und adaptieren sie. So hat die britische Regierung eine sofortige Finanzierung in Höhe von 250 Millionen Pfund angekündigt, um die kommunalen Behörden beim Bau neuer Infrastruktur wie Rad- und Fußgängerwege zu unterstützen. Dazu kommt ein neues Regelwerk zur Neuzuweisung von Straßenraum. Zwar empfiehlt die Regierung den kommunalen Behörden bereits seit Langem, das Radfahren stärker zu unterstützen. Jetzt aber geht sie einen Schritt weiter, indem sie es zu einer gesetzlichen Pflicht macht.
Auch die Behörden in Bogotá, Kolumbien, waren damit beschäftigt, das Straßennetz der Stadt um kilometerlange Radwege zu erweitern. Nachdem sie den Titel der "verkehrsreichsten Stadt der Welt" errungen hatten (laut der globalen INRIX-Wertungsliste für Staus, und zwar vor Rio de Janeiro und Mexiko-Stadt), sind sie daran interessiert, den Arbeitnehmern angesichts des Coronavirus-Ausbruchs eine alternative Möglichkeit des Pendels zu bieten. Weitere überlastete Städte - zu den INRIX-Top 10 gehören auch Rom, Paris, Boston und Chicago - sind ebenfalls reif für eine permanente Fahrradrevolution.
Das Erreichen der kritischen Masse
Einige dieser Änderungen sind möglicherweise nicht von Dauer. "Pop-up-Infrastruktur" und "taktischer Urbanismus" sind Schlagworte des Augenblicks. In Ländern wie Deutschland und Frankreich wird den lokalen Behörden empfohlen, während der Covid-19-Krise vorübergehend neue Rad- und Fußwege zu schaffen. In Neuseeland lautet der Rat, neue Mittel in den Plan zu investieren.
In den vergangenen Jahrzehnten war das Interesse am Radfahren schon einmal sprunghaft angestiegen, ohne dass es sich wirklich durchgesetzt hat - so während der Ölkrise in den 1970er-Jahren sowie in den 1990er-Jahren, als das Radfahren mit Fahrrädern aus fortschrittlichen Hybridmaterialien, ausgestattet mit passendem Zubehör und Komponenten, zur Hochtechnologie wurde. In jüngerer Zeit versprach die Einführung von Elektrofahrrädern eine weitere Verschiebung, obwohl in einigen Ländern ihre Akzeptanz durch Vorschriften für deren Verwendung begrenzt wurde.
Es bleibt zu hoffen, dass es diesmal anders kommt, wenn die Flut von Initiativen während der Covid-19-Krise in etwas Durchdachteres und Koordiniertes mündet. Eine gemeinsame Infrastrukturpolitik, eine Gesetzgebung für Elektrofahrräder und mehr Test- und Mietprogramme wie die CYCL-e Around e-bike-Initiative von Pirelli sind dazu erforderlich. Die Arbeitgeber müssen jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, sichere Parkplätze für die Räder bieten. Zudem müssen die Unternehmen Duschen bereitstellen, damit der radelnde Teil der Belegschaft sich nach ihrer Ankunft umziehen kann. Vor allem aber muss die Zahl der Radfahrer eine kritische Masse erreichen, damit sie ihren Platz auf den Straßen einfordern und sich sicher fühlen können.
Die Radfahrerinnen und Radfahrer der Welt - tatsächliche und potenzielle, gegenwärtige und zukünftige - warten. Und auch der Planet.